Herzlich willkommen zu einer weiteren Ausgabe der Geistigen Steinwüste!
Da ich den letzten Beitrag auf Grund von mangelnder Aktualität schon wieder verworfen habe, freue ich mich umso mehr euch diese Woche einen weiteren Gastbeitrag präsentieren zu dürfen.
Das Format unterscheidet sich nen bisschen zum sonstigen Inhalt auf dieser Plattform, ich fand den Beitrag aber trotzdem lesenswert und damit genügt der meinen Anforderungen an einen Gastkommentar. Wenns euch nicht gefällt, ist das zwar schade, aber nicht zu ändern.
Da es um einen recht persönlichen Beitrag des Verfassers handelt, wurden keine Änderungen an der Einsendung des Autoren vorgenommen, ihr bekommt direkt das Original.
Danke fürs Dabei bleiben, danke fürs lesen.
Nach 1,5 Jahren der Arbeitslosigkeit habe ich im Januar einen neuen Job angefangen
Hallo zusammen,
ich muss mal meine Story loswerden. In erster Linie mach ich es als so eine Art Selbsttherapie, doch vielleicht kann der eine oder die andere daraus auch Motivation ziehen.
Triggerwarnung (neudeutsch für Spoiler): Es geht auch um Depressionen und sucht-artigen Alkoholkonsum
Angefangen hat alles im Oktober 2022. Anfang des Monats hatte die 4. von insgesamt 4 Geschäftsführungen in der Firma übernommen, in der ich gerade einmal zu dem Zeitpunkt 2 Jahre beschäftigt war. Diese Geschäftsführung dachte sich, das die Firma zu wenig Geld abwirft und hat die Hälfte der Angestellten innerhalb von 2 Wochen entlassen. Meine Abteilung hatte es auch erwischt, von 7 Leuten waren wir nur noch vier: ich und meine Chefin und 2 Kollegen, die den Außendienst notgedrungenermaßen übernehmen mussten und so gut wie nie im Innendienst waren.
Was hab ich also gemacht? Von heute auf morgen, die Aufgaben von 5 Leuten übernommen, zusammen mit meiner Chefin priorisiert, wo es am wichtigsten ist anzupacken und angefangen 10h am Tag Support zu machen ohne Pause von Montag bis Freitag.
Jetzt kann man sich die Frage stellen, wie lange das gut geht. Ich hatte nach 2 Monaten die Schnauze voll, habe mich für 2 Wochen krank schreiben lassen und am ersten Tag nachdem ich wieder arbeiten gegangen war (es war Mitte Januar 2023), hatte ich direkt ein Meeting mit meiner Chefin welche mich abmahnte, weil ich Aufgaben unerledigt ließ.
Daraufhin hab ich mich bei einer Jobbörse angemeldet und mich von einer Firma abwerben lassen. Da ich trotz Abmahnung und schlechter Arbeitsweise keinen Aufhebungsvertrag bekam und es inzwischen Anfang Februar war, kündigte ich zum 31.05. und tat unterdessen alles um von meinem Arbeitgeber fristlos gekündigt zu werden ohne mich strafbar zu machen: kam mehrere Stunden zu spät, war (offensichtlich) angetrunken da, trank sogar während der Arbeit Bier, sagte bei jeder Beschwerde am Telefon die Handynummer der Geschäftsführung durch etc, bla bla bla. Hat alles nichts gebracht also Fang ich am 01.06. in der neuen Firma an.
In der neuen Firma angekommen, habe ich bis zum 12.06. dort gearbeitet und einen Arzttermin am 13.06. in meiner Hausarztpraxis, den ich eine Woche zuvor ausmachte wahrgenommen. Da ich seit einigen Tagen eine belegte Stimme und Halsschmerzen wahrnahm ohne weitere Erkältungssymptome wollte ich dem auf den Grund gehen. Stellt sich heraus Kehlkopfentzündung. 4 Tage zuhause bleiben. Ungeil.
Seis drum, Gesundheit geht vor, ich rufe bei der HR der neuen Firma an, gebe Bescheid und wie unfassbar ungeil ich das gerade finde, aber lässt sich nicht ändern.
Sitz also zuhause, klingelt es an meiner Tür: Der Kollege, der mich eingearbeitet hat steht vor mir und sagt „Hey, tut mir leid, aber ich habe deine Kündigung dabei“
Klasse, ich war also zum 27.06.2023 gekündigt, krank und erstmal ohne Boden unter den Füßen. Das hat mich in ein tiefes Loch geworfen, meine Krankheit verschlimmerte sich drastisch und ich konnte bis Mitte September keinen Gedanken an Arbeitssuche verlieren, weil ich mich erstmal auf meine Gesundheit konzentrieren musste. Ich bin 35 nebenbei erwähnt.
Oktober 2023 also angefangen Bewerbungen zu schreiben, sogar nen Aufbaukurs der Agentur mitgenommen, um noch evtl paar Tipps für die Bewerbung abzuholen, doch leider fand sich nichts passendes bis Januar 2024.
Machste das beste draus: Fortbildung mit Bildungsgutschein. Man hat ja Anspruch drauf. Gesagt getan: prompt Fortbildung gefunden, mit der Agentur alle Bürokratie erfolgreich gelöst (an dieser Stelle danke an die Kollegin der Agentur, mit der das Zusammenarbeiten einfach großartig war), am 05.02. eine Fortbildung angefangen und am 11.06. abgeschlossen mit einem Schnitt von 1,65.
Wie ich fertig war, fingen nun leider Sommerferien in meinem Bundesland an und fast alle Bewerbungen die ich schrieb liefen irgendwie bis Anfang August ins Leere. Wenn ich eine Antwort bekam, war es meist eine Absage. Zu der Zeit hat jede Absage eine kleine Schicht meiner mentalen Stabilität abgeschliffen und ich verfiel mehr und mehr in einen negativen Gedankenstrudel. Ohne es zu merken. Ich igelte mich ein, lag tagelang im Bett oder auf der Couch, konnte nichtmal mehr die einfachsten Haushaltsaufgaben übernehmen und war komplett ohne Energie. Der Schlafmangel tat da sein übriges.
Meine Hauptnahrungsmittel zu der Zeit waren Bier und Pizza.
Insgesamt hatte ich in der Zeit bis August zwei Vorstellungsgespräche. Eines davon, war das schlimmste Gespräch was ich jemals erleben durfte: alle Punkte in meinem Lebenslauf wurden nicht besprochen sondern als Vorwurf mir an den Kopf geworfen wofür ich mich rechtfertigen musste, so nach dem Motto: „Sie haben ja eine Ausbildung im Einzelhandel gemacht. Warum sind Sie nicht im Einzelhandel geblieben? Da kann man ja auch Karriere machen und jetzt arbeiten Sie in einem ganz anderem Gewerbe in welchem Sie keinen Abschluss haben, ist Ihnen das bewusst?“ 1,5h lang. 1,5h verfi#!te Stunden habe ich mich gerechtfertigt dafür, dass mein Lebenslauf offensichtlich in deren Augen das mieseste ist, was sie jemals gesehen haben.
Da ich allerdings unbedingt einen Job wollte und auch brauchte, habe ich es über mich ergehen lassen.
Ende August habe ich dann selbst an mir gemerkt, dass irgendwas nicht stimmt mit mir. Ich sah gerade eine Serie und habe gelacht doch noch beim Lachen schoss mir der Gedanke in den Kopf „Du hast es nicht verdient zu lachen. Du bist ein Versager!“ Das hat mich die darauffolgenden Tage lahmgelegt.
Da ich sonst stets eine sehr lebensfreudige Person bin und ich mich in diesem Moment nicht mehr wiedererkannt habe, machte ich direkt einen Termin mit meinem Hausarzt aus, der mir nach den ersten beiden Gesprächen eine leichte Medikation verschrieb, die mir extremst half meinen Alltag wieder in den Griff zu bekommen.
Zu meiner Überraschung bekam ich von den beiden Firmen bei denen ich vorsprach eine Zusage, spätestens im November anfangen zu können. Das war Mitte September. Mit der Firma mit dem schlimmen Vorstellungsgespräch hatte ich dann einen Termin zur Vertragsunterzeichnung zum 07.10.
Das Gehalt war gerade so noch ok, ich hätte 26 Tage Urlaub gehabt und Arbeitsweg von 45min eine Strecke ohne Home-Office. Kann ich mit leben, ich brauch erstmal wieder Boden unter den Füßen. Am 06.10. bekam ich jedoch den Anruf, dass ich nicht zur Vertragsunterzeichnung kommen kann, da meine Stelle jetzt doch gestrichen wurde. Wie ich das hörte, meldete ich mich direkt bei der anderen Firma die mir eine Zusage machte (mittlerweile mit Arbeitsbeginn am 01.12.) Doch die sagten am 07.10. ebenfalls ab, da die Stelle doch intern anders besetzt würde.
Nun stand ich also wieder da ohne Perspektive, ohne Einkommen (ALG I lief im August aus, Bürgergeld war seit 2 Monaten ohne weitere Bearbeitung beantragt) und ging wieder zu meiner Bier und Pizza Diät über, wobei ich diesmal Pizza durch Jackie Cola ersetzte. Bzw. dieses billige Fusel Äquivalent ausm Discounter, hab ja kein Geld.
Die darauffolgenden zwei Wochen enthielten meine finstersten Stunden seit dem Tod meiner Mutter vor 24 Jahren. Ich gehe nicht ins Detail.
Doch dank meiner sehr tollen Geschwister, meinen tolleren Freunden und meiner allertollsten Freundin (im Mai sinds 16 Jahre, ich liebe diese Frau) kam ich auch wieder aus diesem Loch und habe es geschafft zu Mitte November wieder Bewerbungen schreiben zu können ohne, dass diese in einem kompletten Heulkrampf meinerseits endeten.
Es zündete bei mir einen Funken: so viele Bewerbungen zu schreiben innerhalb kürzester Zeit, wie ich es die vergangenen Monate nicht getan habe.
Mit diesmal besseren Erfolg: 3 Gespräche in der Woche vom 16.12. davon 2 Zusagen und bei der einen Firma fing ich dann im Januar an. Den Vertrag unterschrieb ich am 22.12., mein „Onboarding“ erhielt ich am 23.12. Seit dem 02.01. arbeite ich zu 100% im Home Office für eine Firma mit guten Gehalt, besserem Urlaub und jeder Menge Benefits, die ich voll ausschöpfen kann.
Meine Bewerbungstätigkeit kann ich so zusammenfassen (gerundet):
44% Der Firmen haben mir ne Absage erteilt (dauerte zwischen 90min und 3,5Monaten)
8% Habe ich abgelehnt (meist wegen zu schlechter Konditionen. Deutschlandweite Reisebereitschaft für 2,6k Brutto? Lack gesoffen?)
42% haben nie geantwortet, teilweise auch nicht auf Nachfrage
4% gingen an Arbeitnehmerüberlassungen, die alle von den Konditionen gesagt haben die ich jetzt bekomme „Die sind bei ihrem Lebenslauf absolut utopisch“
und der Rest waren Zusagen oder es ist noch zu zeitig um diese in eine der oberen Kategorien einzuordnen.
Zusammengefasst: Manchmal hat man einfach kein Glück, dann kommt auch noch Pech dazu. Ich hab in den letzten 2 Jahren ordentlich scheiße gefressen. Ohne die mentale und finanzielle Unterstützung meiner Freunde und Familie wäre ich aufgeschmissen gewesen. Auch wenn es abgedroschen klingt, stimmt es in meinem Fall doppelt: Am dunkelsten ist die Nacht immer, kurz bevor die Sonne aufgeht.
Ich bedanke mich fürs lesen.
Lasst euch nicht entmutigen, sucht euch Hilfe, wenn ihr sie braucht und lasst euch helfen wenn es soweit ist.
Bleibt gesund, bleibt stabil, Prost
der dicke Jesus