44/23 Chatkontrolle und Lobbyhörigkeit der EU, schon wieder…

Werte Damen und Herren,

wer sich an diese Ansprache gewöhnt hat, so wie ich, wird sich wohl demnächst umstellen müssen. Nachdem ich dieses Jahr mehrere Transpersonen persönlich kennen gelernt habe, ist dieses Phänomen für mich nun weniger abstrakt als bisher, da ich es nur lesend wahrgenommen habe.
Entsprechend werde ich mich also künftig vermehrt um eine inklusive Sprache bemühen, ohne den Lesefluss übermäßig zu stören. Auf Gendersternchen und Binnen-i werde ich auch zukünftig verzichten. In diesem Sinne:

Herzlich Willkommen zu einer weiteren Ausgabe der geistigen Steinwüste!

Hab ich mich in der Vergangenheit schon mal über die EU oder Lobbyismus aufgeregt?
Wahrscheinlich. Tut auch nichts zur Sache, ich machs diese Woche einfach nochmal.
Es geht immer noch, oder schon wieder, um die Chatkontrolle auf europäischer Ebene, natürlich zum Schutz Minderjähriger vor sexueller Gewalt.
An dieser Stelle auch direkt die Trigger-Warnung:
Scam (sexual child abuse material) wird zwar nicht näher beschrieben, aber an mehreren Stellen erwähnt. Wer sich damit unwohl fühlt, liest bitte erst zur nächsten Folge wieder rein.
Sexueller Missbrauch an Minderjährigen, explizit Kindern, wird ausschließlich praktiziert, um das Vorgehen auf Bild oder Video zu dokumentieren und anderen Interessierten über übliche Messenger wie WhatsApp, Signal oder Telegram zur Verfügung zu stellen. Ebenfalls erfolgt die vorherige Kontaktaufnahme der Täter mit den Opfern über selbige Dienste. Bisher gab es technisch auch kaum Möglichkeiten Missbrauch aufzuklären. Deshalb sollen Chats aller Europäer künftig überwacht werden.
Ich mein, dass ist inhaltlich schon mal ziemlicher Unsinn, da wir das Thema aber meines Wissens im Zuge der Vorratsdatenspeicherung oder nem älteren Beitrag über die Chatkontrolle schon mal hatten, will ich das heute auch nicht ewig weiter ausführen.
Stattdessen werfen wir einen Blick auf Frau Ylva Johansson. Wem der Name nix sagt, sie ist derzeit EU-Innenkommissarin und damit eines von 27 Kommissionsmitgliedern. Da ich selber zumindest immer meine Schwierigkeiten mit den einzelnen Organen der EU und ihren Funktionen habe, hier auch für euch kurz der Auszug der EU-Website.
„Die Europäische Kommission ist die politisch unabhängige Exekutive der EU. Sie ist allein zuständig für die Erarbeitung von Vorschlägen für neue europäische Rechtsvorschriften und setzt die Beschlüsse des Europäischen Parlaments und des Rates der EU um.
Die Kommission ist das einzige EU-Organ, das dem Parlament und dem Rat Gesetzesvorschläge zur Abstimmung vorlegen kann.
Diese Rechtsvorschriften:

  • schützen die Interessen der EU und ihrer Bürgerinnen und Bürger in Angelegenheiten, die auf nationaler Ebene nicht effizient behandelt werden können,
  • sind aufgrund der Konsultation von Experten und der breiten Öffentlichkeit fachlich ausgereift.“ [1]

Konsultation von Experten also. Da Frau Johansson nicht alles allein machen kann, hat sie natürlich auch Mitarbeiter.
Ein leitender Mitarbeiter ihres Büros, Antonio Labrador Jimenez, ist zuständig für eben jene Gesetzesinitiative und gleichzeitig Mitglied der „WeProtect Global Alliance“.
Aussage der Kommision dazu: “Jimenez: ‘does not receive any kind of compensation for his participation in the WeProtect Global Alliance Management Board, and performs this function as part of his duties at the Commission.’”
Ist bei einer gemeinnützigen Stiftung auch nicht anders zu erwarten. Schauen wir uns also die WeProtect mal an, wer sich da so alles zum Wohle der Kinder einsetzt.
„Im Board der Organisation sitzen laut der Recherche Regierungsvertreter und Sicherheitsbehörden, zu den Mitgliedern gehören neben Kinderschutzorganisationen, praktisch alle großen Intrernetkonzerne, aber auch zahlreiche Regierungen.“ [3]
Regierungen, Sicherheitsbehörden, Internetkonzerne und Regierungen setzen sich also alle für anlasslose Überwachung, ähh ich meine Kinderschutz ein.
Und hier geht’s nicht um Kleingeld.
„Laut der Recherchen von BalkanInsight hat die Oak Foundation seit 2019 mehr als 24 Millionen Dollar in verschiedene Organisationen wie Thorn oder ECPAT für Lobbying rund um die Chatkontrolle gesteckt.“
Das ist bis hierher noch alles mehr oder weniger okay. Die Chemielobby ist deutlich größer und auch im Mobilitätssektor wird mit anderen Summen um sich geworfen.
Albern wurdes eben erst als es jetzt nen paar Artikel gab wo sich jemand die Mühe gemacht hat das Lobbyregister und die Spendeneinnahmen der einzelnen Lobbys zu untersuchen. Das ist Quelle 2 is recht interessant zu lesen, sprengt aber hier den Rahmen. [2][3]
Jedenfalls wollte jetzt der Innenausschuss von seiner Vorsitzeden wissen, was da nu eigentlich los ist.
Darauf erfolgt Ihre Auslassung per Brief ans Parlament, Nachfragen bitte bloß nicht, dass die Medien Sie und Ihre Kampagne in Misskredit bringen wollen, ja gar eine Verschwörung unterstellen. Sie habe hier niemanden bevorzugt.
„Let me remind you that, as the result of a Commission consultative process, the relevant services and Directorate Generals have had extensive exchanges with privacy rights organization.”
“The answer to the question ‘Who benefits’ from my proposal is: children. And who benefits from its rejection? Abusers who can continue their crimes undetected and possibly big tech companies and messaging services who do not want to be regulated.”

Dazu Ella Jakubowska vom EDRi:
„Europas größtes Netzwerk für digitale Rechte versuchte dreimal, sich mit der Kommissarin zu treffen, und wurde jedes Mal abgewiesen. Die Behauptung, der politische Entscheidungsprozess sei unvoreingenommen und repräsentativ gewesen, stellt eine falsche Darstellung der Realität dar.“
EDRi, Dachverband europäischer Digital Rights Organisationen verfügte im Jahr 2021 Insgesamt über knappe 1,4 Millionen Euro und hat eben auch noch paar andere Projekte auf der Agenda. Dafür kann man sich wohl keinen Termin kaufen. [4]

Oder Piraten-Abgeordneter Patrick Breyer:
„Der Widerstand gegen den Gesetzentwurf kommt nicht in erster Linie von Big Tech, sondern von IT-Sicherheitsexperten, Menschenrechtsaktivisten, Journalisten und Kinderschutzverbänden, einschließlich der Opfer von sexuellem Kindesmissbrauch.“ [5]

Also manchmal fragt man sich halt schon, wie in der EU die Posten vergeben werden. Okay, das stand auch auf der EU-Seite zu lesen, aber ich hab’s nicht verstanden. Um die Qualität der Kandidaten zu erhöhen, würde ich es aber ohnehin gern zukünftig auswürfeln oder zu losen.

Also verstehts mich nicht falsch, ich möchte csam in keiner Weise verteidigen, aber das Szenario, das sowas über Messanger verschlüsselt wird und ich durch die permanente Überwachung sämtlicher Chats das ganze signifikant zurück geht ist doch nun wirklich Unsinn.
Ich nehm also mein Material her, mach da nen passwortgesichertes Archiv draus und verschick das und nu?
Jetz wird hier garnix erkannt. Und da kommt von den 100 klugen Beratern keiner drauf?
Oder ich mach das eben wie die 15 Jahre davor über Internet, oder müssen wir als nächstes, zur wirkungsvollen Umsetzung unserer EU-Maßnahme auch noch TOR und VPN verbieten.

Zumal ich vermute das die ganzen digitalen Inhalte spätestens in 10 Jahren eh durch sind. Dann lass ich mir den Bumms durch ne KI generieren und dann ist Ruhe.
Bevor jetzt wieder jemand besonders klug daherkommt, KI ist streng reguliert und sowas wird’s nie geben, die Franzosen haben jetzt Mistral 7B nen Sprachmodell vorgestellt das nicht moralisch trainiert ist.
Also es merkt noch an, dass Mord in meinem Land vermutlich nicht legal ist, aber wenn ich selbigen trotzdem begehen möchte, solle ich doch folgende Hinweise beachten.  Das Modell gibt’s auch zum Runterladen, sollte man es lieber offline betreiben wollen. [6]

Also was genau an diesem Entwurf nun „fachlich ausgereift“ ist oder „die Interessen der Bürgerinnen und Bürger“ schützt, kann ich nu auch mit viel gutem Willen nicht erkennen.

Oder doch, hier: „Dabei forderte Europol unbeschränkten Zugang zu den Daten, die bei der Chatkontrolle anfallen: ‚Alle Daten sind nützlich und sollten an die Strafverfolgungsbehörden weitergegeben werden. Es sollte keine Filterung durch das Zentrum [der aktuelle Vorschlag sieht vor, dass aus den Bildern in einem europäischen Rechenzentrum ein Hashwert gebildet wird, der dann mit ner csam-Datenbank gegengeprüft wird; A.d.R] geben, da selbst ein unschuldiges Bild Informationen enthalten kann, die irgendwann für die Strafverfolgung nützlich sein könnten.‘“ [7]

Naja, belassen wir´s dabei.
Weisheit zum Sonntag:

„Es ist viel sicherer, zu wenig als zu viel zu wissen.“
(Samuel Butler)

Für Krone und Kommunismus!

[1] https://european-union.europa.eu/institutions-law-budget/institutions-and-bodies/search-all-eu-institutions-and-bodies/european-commission_de
[2] https://balkaninsight.com/2023/09/25/who-benefits-inside-the-eus-fight-over-scanning-for-child-sex-content/
[3] https://netzpolitik.org/2023/anlasslose-massenueberwachung-recherchen-decken-netzwerk-der-chatkontrolle-lobby-auf/
[4] https://edri.org/annual-report-2021/assets/downloads/EDRI_-_ANNUAL_REPORT_2021.pdf S.64
[5] https://netzpolitik.org/2023/chatkontrolle-eu-innenkommissarin-johansson-weist-lobby-vorwuerfe-zurueck/
[6] https://www.golem.de/news/mistral-7b-neues-ki-modell-ist-kostenlos-und-kennt-keine-grenzen-2310-178137.html
[7] https://netzpolitik.org/2023/interne-dokumente-europol-will-chatkontrolle-daten-unbegrenzt-sammeln/

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