21/24 lange Pause, schwere Themen

Herzlich Willkommen zu einer weiteren Ausgabe der geistigen Steinwüste!

Ja, es is ne ganze Weile her, seitdem ihr das letzte Mal was von mir lesen durftet, aber irgendwie schreiben sich die Beiträge auch nicht von selbst. Geplant war ja mal ein Weihnachtsspezial, dann ne Sonderfolge zum Jahresrückblick. Die letzte Ausgabe lag so lange halbfertig bei mir rum, dass ich die mittlerweile auch komplett wegschmeißen kann und Ostern is auch rum.

Das war der erste Absatz des letzten Beitrags, den ich mittlerweile wegen Überalterung ebenfalls verworfen habe.

Dann habe ich auf der letzten Dienstfahrt einen Beitrag im Deutschlandfunk gehört, der mich direkt wieder motiviert hat.

Auch wenn es sich in den letzten Beiträgen häuft, auch hier vorab eine Trigger-Warnung. Wenn ihr euch aktuell psychisch in keinem guten Zustand befindet oder Verluste im engeren Umfeld erleben musstet, wartet einfach auf den nächsten Beitrag und spart euch diesen. Passt auf euch auf.

Thema schon erraten?
Ja, es geht um Suizid.
Im weiteren Verlauf werde ich die wertungsfreie Bezeichnung Suizid nutzen und auf wertende Formulierungen wie Selbstmord oder Freitod, außerhalb von Zitaten, verzichten.

Unerfreuliches Thema, hört man auch nicht so oft von. Bisschen erstaunt war ich dann, als der Beitrag im DLF mit folgendem Satz begann: „Über 9.000 Menschen nehmen sich in Deutschland jährlich das Leben. Das sind mehr Todesfälle als durch Verkehrsunfälle, Mord, Totschlag und Drogen zusammengerechnet.“ [1]
Der restliche Beitrag plätscherte dann recht inhaltslos vor sich hin und bot, außer der Erwähnung des Journalisten, dass zu den erfolgreichen Taten noch ungefähr 100.000 Versuche dazukommen und Frau Buyx den Begriff Selbsttötung nutzt und damit die Ebene der Wertungsfreiheit verlässt, keine weiteren inhaltlichen Höhepunkte.

Anlass des Beitrags war offensichtlich die von Gesundheitsminister Karl Lauterbach vorgestellte „Nationale Suizidpräventationsstrategie“. Nun könnte man sich darüber freuen, dass hier jemand ein Problem erkannt hat und entsprechende Maßnahmen ergreifen möchte.
Werfen wir also einmal einen Blick auf die Inhalte dieser Strategie. [2]
Enthalten sind unter anderem:
– eine bundeseinheitliche Webseite mit Informationen zu Hilfsangeboten
– modellhafte Schulungen für Fachkräfte im Gesundheitswesen
– eine zentrale Notrufnummer, die zu bestehenden Angeboten weitervermittelt
– Ausbau des Monitorings von Suiziden und Suizidversuchen
und mein persönliches Highlight
– „methodenbegrenzende Maßnahmen“ (u.a. Zugangsbeschränkung zu Bahnanlagen und Brücken)

Ja, das ist ja jetzt echt mal ein ambitioniertes Vorhaben. Eine Webseite und eine Rufweiterleitung schalten. Hoffentlich lässt das unser angespannter Haushalt zu und Herrn Lindner wird die Webseite nicht zu teuer.

Das kann man sich doch komplett schenken. Wenn ich bei Google auch nur nach Depression suche, bekomme ich gleich zuoberst eine Rufnummer angezeigt, an die ich mich wenden kann. Dazu muss ich noch nicht mal ne Webseite aufrufen. Wenn ich mit dem Problem zu meinem Hausarzt gehe, bekomme ich eine Überweisung zum Facharzt. Das Problem ist doch nun wirklich nicht die fehlende Möglichkeit, sich zu informieren. Das ist jetzt für die Betroffenen genauso hilfreich wie nen Backstein zum Frühstück.

Was mich nun wirklich daran stört: diese Strategie geht einfach komplett am Ziel vorbei.
Wenn trotz der bereits bestehenden Angebote die Anzahl der Suizide seit Jahren gleich bleibt, sind die Betroffenen wohl Personen, die kein Hilfsangebot nutzen wollen oder für die keine Lösung gefunden wurde oder gefunden werden kann. Klar kann ich mir auch ein paar Medikamente verschreiben lassen, damit ich anschließend die Gefühlswelt eines Backsteins habe, glücklich bin ich dann aber immer noch nicht und ob diese Form der Existenz, außer für den Erhalt der Arbeitskraft, erstrebenswert ist, darüber lässt sich auch streiten.

Wie wäre es denn, wenn man sich mal mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2020 beschäftigt, in dem jedem Menschen ein grundgesetzlich geschütztes Recht auf Hilfe bei der Selbsttötung zugesprochen wird? [4]
Da kann man sich auch die Absicherung von 33.000 KM Schienennetz und was weiß ich wie vielen Brücken in Deutschland sparen, wenn man den Menschen eine vernünftige Lösung anbietet.
Ich glaube nicht, dass die Menschen, die ihr Leben mit dem Zug beenden, diese Idee so unglaublich verlockend finden. Vielmehr mangelt es an niederschwelligen und menschenwürdigen Alternativen.

Das Thema ist natürlich recht umstritten und man kann da geteilter Meinung sein. [3]
Seneca (1-65 [irgendwie sehen Geburts- und Todesdaten in dem Zahlenbereich bescheuert aus…])
„Ich soll warten auf einer Krankheit Grausamkeit oder eines Menschen, obwohl ich in der Lage bin, mitten durch die Qualen ins Freie zu gehen und Widerwärtiges beiseite zu stoßen? Das ist das einzige, weswegen wir über das Leben nicht klagen können: niemand hält es.“
Augustinus (354-430) als einer der Kirchenväter, sah das ganze natürlich ein bisschen anders: „Denn der Mensch gehört nach christlichem Verständnis eben nicht sich selbst, sondern Gott.“
Okay, da gibt’s Ansichten, die mich mehr überzeugen, aber ich werd mit ihm wohl nicht mehr drüber streiten können.

Etwas näher in der Zeitgeschichte kommen dann so Figuren wie Kant (1724-1804) auf die Bühne:
„…lehnt er (Kant a.d.R.) den Suizid entschieden ab. Der Mensch müsse anerkennen, dass er in seiner Eigenschaft als Person eine strenge Pflicht gegen sich selbst habe, sein Leben zu erhalten. […] Denn nach Kant schuldet der Mensch sich selbst, den Suizid zu unterlassen – und nicht den anderen, also auch nicht der Gesellschaft.“
Oder Nietzsche (1844-1900): „Manchem mißrät das Leben: ein Giftwurm frißt sich ihm ans Herz. So möge er zusehn, dass ihm das Sterben umso mehr gerate. Frei zum Tode und frei im Tode, […]“

Wie wäre es denn mal mit einem Lösungsansatz der den Leuten auch wirklich hilft?
Wir setzen quer durch Deutschland 5-6 Suizidzentren hin. Da kann jeder hingehen, wenn ihm danach ist. Erster Besuch, es gibt ne Registrierung und die Möglichkeit eines freiwilligen Erstgesprächs am selben Tag, inklusive eines weiterführendem Therapieprogramms. Sechs Wochen später gibt es einen zweiten Termin, hier muss der Suizidwunsch noch einmal bestätigt werden und es gibt erneut das Angebot eines freiwilligen Beratungsgesprächs mit einem Therapeuten / Psychologen. Abschließend wird 14 Tage später ein Termin vereinbart, an dem der Suizid durchgeführt wird, entsprechende Mittel und Räumlichkeiten werden bereitgestellt. Feierabend.

Durch die Zwangspausen werden Spontanreaktionen verhindert, ein Hilfsangebot wird wahrgenommen und am Ende haben alle weniger Arbeit. Die Polizei muss nicht ermitteln, der Bahnfahrer wird nicht traumatisiert und es gibt auch keine Kollateralschäden (meine Großmutter wohnte einige Jahre in einem Dresdner Hochhausviertel mit Blick auf das Prohlis Center, so ne Art moderner Marktplatz. Das dort mal ein größerer Bereich abgesperrt werden musste, weil sich jemand vom Dach gestürzt hat, war nicht gerade alltäglich, passierte aber in einer stoischen Regelmäßigkeit, dass die Anwohner das nur noch emotionslos zur Kenntnis genommen haben, als Marktbesucher würde mir in diesem Moment aber sicher die Freude am Einkauf vergehen.).

Wäre das nicht der Respekt, den Olaf Scholz immer wieder einfordert?
Eine selbstgewählte Entscheidung zu respektieren?
Den Menschen auch im Tod die Würde zugestehen, die ihnen im Grundgesetzt zugesichert wird?

Ach nee, lass mal lieber noch ne Website schalten. Die tut keinem weh und kostet nix.
Vielleicht können wir noch ein paar Schilder an Brücken nageln mit Sprüchen wie: „Das Springen von dieser Brücke kann zu einer erheblichen Beeinträchtigung Ihrer Gesundheit führen, wir raten dringend davon ab!
Sollten Sie es dennoch in Betracht ziehen, wählen Sie zuvor diese Nummer: 113!“

Danke fürs Reinlesen, ich hoffe, ich hab das nächste mal wieder ein erfreulicheres Thema für euch.
Was natürlich nicht fehlen darf:

 

 

Weisheit zum Sonntag
„Wenn du aufgeben willst, erinnere dich daran, warum du angefangen hast.“

 

Für Krone und Kommunismus!

 

 

[1] https://www.deutschlandfunk.de/suizidpraevention-interview-mit-medizinethikerin-alena-buyx-dlf-0f46a920-100.html
[2] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/presse/pressemitteilungen/bundesgesundheitsminister-stellt-nationale-suizidpraeventionsstrategie-vor-pm-02-05-2024
[3] https://www.deutschlandfunk.de/wem-gehoert-mein-leben-100.html
[4] https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/suizid-medikament-urteil-100.html

 

 

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